Beim diesjährigen Begegnungsfest an der Kubig, das der Arbeitskreis Asyl am 23. September ausgerichtet hatte, waren die Bänke und Tische dicht besetzt. Um einen Platz zu finden, setzte man sich am besten einfach irgendwo dazu. So ließen sich die Leckereien des internationalen Buffets – allesamt selbst gekocht und gebacken: köstlich! – wunderbar genießen.
Zufällig fand ich einen Platz gegenüber einer jungen Frau und kam mit ihr ins Gespräch. Mais (31) kam kürzlich über den Familiennachzug aus Syrien nach Deutschland. Ihr Mann Nabeel ist Musiker, erfuhr ich, und war 2015 über die Balkan-Route nach Deutschland geflohen. Die beiden waren damals erst wenige Monate verheiratet. Sie waren voller Hoffnung, dass ihre Trennung nur von kurzer Dauer sein würde und Mais nachreisen könne, sobald ihr Mann in Europa ist. Mit drei bis vier Monaten Wartezeit hatte sie gerechnet. Tatsächlich dauerte es mehr als zwei Jahre bis alles rechtlich geklärt und organisiert war.
Nabeel hatte in Homs Englisch und Musik studiert. Sein Englisch-Studium konnte er noch abschließen, bevor er floh; er ist Dolmetscher. Mais hat ihr Studium (ebenfalls Englisch) unterbrochen, als klar war, dass es Nabeel bis nach Deutschland geschafft hatte. Er riet ihr sofort: „Du musst Deutsch lernen, rasch und mit ganzer Kraft!“ Und Mais selbst sagt, sie fühlt sich nur wohl und sicher, wenn sie mit den Menschen sprechen kann. Also hat sie ihr Englischstudium zugunsten von Deutschunterricht zurückgestellt und einen Basis-Deutschkurs an der Uni belegt. Als der Kurs nach drei Monaten mit Sprachniveau A1 endete, gab es aber kein Anschlussangebot.
Soweit hatte ich die Geschichte von Mais und Nabeel nun verstanden. Aber wie konnte es sein, dass Mais so gut Deutsch spricht? Zwar sprachen wir langsam und suchten mitunter nach verständlichen Worten, doch wir verstanden uns prima! „Wirklich erst vor fünf Wochen bist du angekommen? Wie hast du Deutsch gelernt?“, fragte ich neugierig.
Ihre originelle Antwort hat mich überrascht: „Im Selbststudium mit Heidi“, antworte sie. „Mit Heidi?“, fragte ich verständnislos und dachte an ein Missverständnis. „Ja, mit Heidi“, nickte Mais. „Kennst du nicht Heidi, das Mädchen aus dem Bergen?“, fragte sie lachend und erklärte mir: Die Heidi-Zeichentrick-Filme sind in Syrien sehr populär. Fast jedes Kind kennt die Geschichte aus Frankfurt und den Schweizer Alpen, arabisch synchronisiert.
Nach Ende ihres Deutschkurses vor einem Jahr, fand Mais zufällig in Facebook einen Link zu einem Heidi-Film im Internet. Zuerst war da mal Freude, denn „Heidi“ war eine schöne Kindheitserinnerung. Dann entdeckte Sie, dass es die ganze Serie im Internet in arabischer und deutscher Sprache gibt. So entstand die Idee: Deutschlernen mit Heidi. Monatelang sah Mais deutschsprachige Heidi-Filme an, übte das Hören, das Verstehen und die Aussprache. Nach jedem deutschen Film sah sie die gleiche Folge auf Arabisch an, um die Sprache genauer zu verstehen. Alle verfügbaren Folgen hat sie viele mal gesehen, „Ich liebe Heidi sehr“, sagt sie lachend. Ganz offenbar hat das gut funktioniert; Mais weiß nun alles über das Almleben und „Ziegen-Peter“. Ihr Sprachlerntalent und ihr Englisch-Studium haben ihr dabei ganz sicher sehr geholfen.
Nabeel, der nur wenig mit Worten geholfen hat, hat jetzt seinen großen Auftritt. Er gehört zum Furat Duo, das neben den Trommlergruppen für die musikalische Unterhaltung des Begegnungsfestes sorgt. Nabeel mit seiner Oud (einer Laute) und der Gesang von Mohamed entführen die Zuhörer mit einem traditionellen Tanz- und Hochzeitslied und einem palästinensischen Lied für einige Minuten in den Nahen Osten und ernten viel Applaus.
Susanne Felger, AK Asyl Roßdorf-Gundernhausen